Dienstag, 21. Oktober 2014

Warum die Banken vergesellschaftet werden sollten

von Johannes Chalupa und Josef Falkinger


4.9 Mrd. € Steuergelder sind bisher in Österreich unwiederbringlich in die Rettung von Pleitebanken geflossen. Der Haftungsrahmen belauft sich mittlerweile auf 22. Mrd. € [PARLAMENTSKORRESPONDENZ NR. 616, 2014]. Ohne die staatliche Haftung für Interbankenkredite wäre das Bankensystem längst zusammengebrochen. Was seit der Finanzkrise 2008 passiert, ist nichts anderes als eine de facto Vergesellschaftung des Bankensystems. Banken können ohne die massive finanzielle Mitwirkung der Gesellschaft nicht mehr arbeiten. Es handelt sich jedoch um eine Vergesellschaftung der besonderen Art: Die Eigentumsverhältnisse werden nicht angetastet und auch die Entscheidungsbefugnisse bleiben beim Alten. Eigentum wird in der neoklassischen Wirtschaftstheorie mit der Übernahme von Risiko legitimiert. Die bestehenden Eigentumsverhältnisse in der Bankwirtschaft haben damit auch nach marktwirtschaftlicher Ratio keine Legitimation mehr. Die Übernahme von Risiko durch die Eigentümer fehlt im Bankenwesen - mit dramatischen Folgen. Die neoklassische Wirtschaftstheorie nennt diese Problematik moral hazard. Zu deutsch: Banken sind wie Pokerspieler, die ihre Verluste nicht selbst bezahlen müssen. Hinzukommt, dass Banken zu den Hauptprofiteuren der Staatsverschuldung gehören. Durch den Kauf von Staatsanleihen können sie in der Regel ohne Risiko Zinsen der Staaten kassieren(1). Eine riesenhafte zusätzliche Umverteilung vom Steuerzahler zu den Banken ist die Folge. Dabei erfüllen Banken ihren ureigentlichen Zweck nicht mehr, Kredite an die innovativen Bereiche der Realwirtschaft zu vergeben.

Die Funktion der Banken

Der österreichische Ökonom Joseph A. Schumpeter sah die Quintessenz des Bankwesens darin, realwirtschaftliche Innovation zu finanzieren. Und zwar ging es bei Schumpeter gerade darum, einem Innovator, der noch nicht mit den nötigen finanziellen Mitteln ausgestattet ist, die Chance zu geben, mit seiner Innovation alteingesessene Wirtschaftsakteure zu verdrängen. Diesen Prozess nannte Schumpeter schöpferische Zerstörung. Trotz vom Staat niedrig gehaltener Zinsen geben heute Banken die Kredite nicht an die Realwirtschaft weiter, und sie tun dies besonders wenig im Bereich der Klein- und Mittelbetriebe und der Innovationsfinanzierung. Im Bereich der Start-ups sind die Kredite seit der Krise nahezu vollständig ausgetrocknet, wobei die Banken bereits vor der Krise in diesem Segment keine rühmliche Rolle gespielt haben. Die Banken üben sich nach der Krise wieder – als ob nichts gewesen wäre - vor allem in genau jener Finanzakrobatik, die ihnen 2008 zum Verhängnis geworden ist. Das billige Geld fließt in Finanzprodukte und nicht in reale Innovationen. Die nächste Finanzkrise scheint vorprogrammiert und ein neuer innovationsgetriebener ökonomischer Aufschwung blockiert.
Schumpeter selbst war diese Problematik nicht unbekannt. In Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie bezeichnet er das britische Bankwesen als vollständig reif für die Sozialisierung. Dies ist überraschender Weise heute wenig bekannt. Widmete er doch der notwendigen Vergesellschaftung weiter Teile der britischen Wirtschaft ein ganzes Kapitel: Sozialisierung im Zustand der Reife. [SCHUMPETER, 1974, S 352ff]
Schumpeter bezeichnet vor allem jene Wirtschaftszweige als reif für die Sozialisierung, die bereits unter den Bedingungen des Kapitalismus die Funktion verloren haben, durch die Übernahme unternehmerischen Risikos realwirtschaftliche Innovationen in Gang zu setzen.
Genau hier setzt auch der Schweizer Ökonom und Direktor des Hamburger Weltwirtschaftsinstitut Thomas Straubhaar an. In einem Artikel unter dem Titel „Das Ende des Kapitalismus“ stellte er in der deutschen Zeitung Die Welt die These auf, dass die EZB mit der geplanten Politik der negativen Zinsen den Boden des privatkapitalistischen Bankenwesens verlässt. Sein Befund: Eine Zentralbank, die der Meinung ist, nur noch mit Strafzinsen auf zurückgehaltene Kredite Banken zur Finanzierung von Innovation bewegen zu können, glaubt nicht mehr an die Funktionsweise des Kapitalismus.

Bankenregulierung

Seit der Bankenkrise 2008 sind verschiedene Vorschläge für Bankenregulierungen vorgebracht worden. Höhere Eigenkapitalquoten, die Trennung des Investmentbanking vom Kerngeschäft, die Zerschlagung der systemrelevanten Banken in kleinere Einheiten und zuletzt vermehrt die Idee des Vollgeldes(2).
Sämtliche Vorschläge sind problembehaftet: Zum einen ist fraglich ob die Maßnahmen geeignet sind Krisen zu verhindern. Die Trennung zwischen Investmentbanking und Kerngeschäft beispielsweise macht das Investmentbanking noch riskanter und volatiler. Haushalte, die sich bei gewöhnlichen Banken verschulden und an einer Immobilienblase partizipieren, können beim Platzen einer Blase genauso eine Geschäftsbank in Schieflage bringen wie bisher. Solange Investmentbanken mit anderen Banken Geschäfte machen, werden bei Problemen auch die Geschäftsbanken immer betroffen sein. Das zeigte gerade die Insolvenz der reinen Investmentbank Lehman Brothers. Hinzukommt, dass Geschäftsbanken immer neue Wege suchen werden, die Trennung des Investmentbankings zu umgehen.(3)
Höhere Eigenkapitalquoten entlasten den Steuerzahler im Fall einer Bankenkrise, ändern aber nichts an der mangelnden Funktionsweise des Bankenwesens an sich. Sinkt der Ertrag der Banken aufs Eigenkapital, werden diese noch restriktiver in der Kreditvergabe sein. Sie werden noch mehr versuchen, ihren kurzfristigen Ertrag mit Finanzspekulationen zu maximieren, wenn auch mit weniger Fremdkapitalanteil.
Durch eine Zerschlagung der systemrelevanten Banken in kleine Einheiten würde das Bankwesen in die Zeit des Manchesterkapitalismus zurückgeworfen. Es wird dabei vergessen, dass sich ein System unzähliger Kleinbanken historisch als noch instabiler erwiesen hat, als ein System von Großbanken. Sie können viel leichter Pleite gehen als eine Großbank. Zwar ist eine Bank alleine nicht systemrelevant, die Pleite einer Reihe von Kleinbanken kann aber genauso einen Bank-run auslösen wie die Pleite einer systemrelevanten Bank. Genau das war der Fall im Jahr 1929 und in den Finanzkrisen des 19ten Jahrhunderts. Dass der Staat nie weiß, bei welcher Bankenpleite die Kettenreaktion startet, macht die Situation noch unkontrollierbarer. Zudem ist es für Kleinbanken schwierig, große Investitionsprojekte zu finanzieren, beziehungsweise das notwendige Risiko von realwirtschaftlichen Innovationen zu tragen. Volkswirtschaftlich darf man die gerade im Finanzdienstleistungsbereich stark zunehmenden Skalenerträge nicht unberücksichtigt lassen.
Vollgeld führt zu ähnlichen Problemen wie erhöhtes Eigenkapital. Banken werden in der realwirtschaftlichen Kreditvergabe noch restriktiver.
Das entscheidende Problem bei all diesen Reformen des Bankwesens ist aber das Folgende: Die Fachverbände der Banken sagen, dass das Bankensystem auf dem Boden privatkapitalistischer Eigentumsverhältnisse in diesen Regelsystemen nicht gewinnbringend arbeiten kann. Sie würden vor allem die Konkurrenz mit weniger reglementierten Märkten nicht aushalten. Die Bankenverbände geben damit zu, dass das privatkapitalistische Bankensystem für den risikoarmen Steuerzahler untragbar geworden ist.
Wer versucht Banken auf Basis der Marktlogik wirksam zu regulieren stößt unweigerlich auf ein Dilemma. Echte Regulierungen gefährden die Profitabilität der Banken gerade in einer Phase, in der große Teile des Bankensystems damit kämpfen, ihre Profitabilität wieder herzustellen oder eine Pleite abzuwenden.

Vergesellschaftung der Banken gestern…

Das verstaatlichte oder quasiverstaatlichte Bankenwesen der Nachkriegszeit in Westeuropa und Japan ist eine Erfolgsgeschichte. Vor allem wenn man die Jahre 1945 – 1970 mit den historischen Zeitabschnitten vergleicht, in denen ein privatkapitalistisches Bankwesen dominierte. Letztere waren immer von dramatischen spekulativen Blasenbildungen und Finanzkrisen begleitet. Hinzukommen die positiven Erfahrungen Chinas nach 1979 mit einem staatlichen Bankensystem. Durch eine Politik des gestuften Zinses konnten in der Nachkriegszeit und können in China noch immer Finanzierungsströme in die strategisch wichtigen Schlüsseltechnologien gelenkt und Blasenbildungen an den Finanzmärkten verhindert beziehungsweise gut kontrolliert werden.
In den USA, dem Epizentrum der Finanzkrise 2008, trotzt ein Bundesstaat jeglichen Trend: North Dakota. Die Arbeitslosenrate lag im Oktober 2009 bei 4% - im Gegensatz zu 10% im gesamten Gebiet der Vereinigten Staaten. Das Bruttoinlandsprodukt pro Einwohner North Dakotas überholte just in der Krise das der USA. Nicht wenige Beobachter führen dies auf die seit 1919 im Besitz der öffentlichen Hand stehende Bank of North Dakota zurück, die sich an einer gemeinwohlorientierten Geldpolitik orientiert. Der Erfolg dieser Bank hat in den USA eine Diskussion über Bankensozialisierung ausgelöst, die mittlerweile auch in die Spalten der New York Times, der Huffington Post und des Time Magazine vorgedrungen ist. [Vergleiche BROWN 2014, MATTHEWS 2013, HARDMEYER 2014]
Paradoxerweise ist öffentliches und genossenschaftliches Eigentum von Banken gerade in den letzten Jahren der Finanzkrise in Österreich in Misskredit gekommen. Stichwort BAWAG und Hypo Alpe Adria. Der politische Einfluss in der Bankenwelt wird heute oft mit gutem Grund als negativ wahrgenommen. Nicht ohne Ironie ist aber, die negative Rolle, die Politik heute in der Bankenwelt spielt, gerade eine Folge der Bankenprivatisierung und der Liberalisierung der Finanzmärkte in den 1980er Jahren. Wenn die öffentliche Hand oder genossenschaftliche Verbände in den letzten 20 Jahre Einfluss auf Banken ausübten, so nicht um die Finanzmärkte zu kontrollieren, sondern um das Spiel der entfesselten Finanzmärkte mitzuspielen. Spekulationsgeschäfte und Überexpansion in Osteuropa waren Folgen eines steigenden Konkurrenzdrucks im Bankenwesen gerade auf Grund der Globalisierung und Liberalisierung der Finanzmärkte. Der Kärntner Landeshauptmann konnte die Hypo Alpe Adria nur deshalb als Cashcow benutzen, weil die kroatischen Finanzmärkte nach dem Zusammenbruch Jugoslawiens liberalisiert wurden, und das Geld internationaler Investoren angezapft werden konnte. Dadurch, dass sich die öffentliche Hand insgesamt aus den Finanzmärkten zurückzog, und es somit keine umfassende Strategie öffentlichen Einflusses mehr gab, konnten einzelne öffentliche Hände beginnen, neofeudalen und mafiösen Einfluss auszuüben. Wenn die Zentralgewalt bankenpolitisch als Souverän abdankt, bedeutet das nicht, dass der politische Einfluss versiegt. Im Gegenteil – es schlägt die Stunde der partikularen Potentaten.

… und morgen

Wenn man den öffentlichen Bankensystemen der Nachkriegszeit etwas vorwerfen kann, dann dies, dass sie zwar keine finanziellen aber realwirtschaftliche Blasen aufbauen halfen. Und wirklich kam es durch den gestuften Zins auch zu politisch gewollten Überinvestitionen in veraltete Technologien (Stahl- und Kohleindustrie). Dies war aber nicht durchgehend der Fall. Gerade in Deutschland, Japan, Südkorea und später in China wurden die Finanzierungsströme vor allem in die Exportindustrie geleitet, um deren technologische Überlegenheit weiter auszubauen, oder den technologischen Rückstand aufzuholen. Grundsätzlich ist aber auch das öffentliche Bankensystem, das wir bisher kannten problembehaftet. Die größte Gefahr ist die, dass sich der Zentralstaat zu sehr in den kleinsten wirtschaftlichen Belange einmischt, mit ihm verbandelte Industrien einseitig unterstützt und Innovationen hemmt.
Schumpeter dachte auch über diese Probleme der Vergesellschaftung nach. In seinem Buch Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie hält er Sozialisierung durchaus mit effizienter Wirtschaftsführung vereinbar. [SCHUMPETER, 1975, S 474f] Es wäre laut Schumpeter notwendig, die Macht der zentralen Leitung eines Wirtschaftszweiges, beispielsweise des Bankenwesens durch Regeln zu beschränken und eine große Autonomie der einzelnen Betriebe zu ermöglichen.
Konkret könnte das bedeuten, dass jeder Staatsbürger oder auch Genossenschaften weiterhin Banken gründen könnten. Diese Banken wären formal im Eigentum der Staatsbank, ihre Leitung jedoch der Staatsbank gegenüber weisungsfrei. Es handelte sich dabei um autonome Filialen(4) der Staatsbank. Bankgründer müssten ein gewisses Ausmaß an Kapital in so eine Filiale einbringen. Sie könnten über die Gewinne der Filiale frei verfügen, hafteten aber mit ihrer Einlage im Fall einer Zahlungsunfähigkeit.(5) Ein entsprechender juristischer Rahmen wäre zu schaffen. Solche Filialen der Staatsbank müssten eine Mindestreserve bei der Staatsbank hinterlegen und dafür bei der Staatsbank Kredite aufnehmen. Die Staatsbank würde für ihre Kredite an die Filialen verschiedene Zinssätze aufstellen, je nach der Struktur der Kredite, die von der Filiale an Kunden vergeben wurden. Beispielsweise würden Filialen, die stark in der Finanzierung von Start-ups oder Schlüsseltechnologien tätig sind bei der Staatsbank niedrige Zinsen zahlen. Filialen, die stark in der Finanzierung von Finanzinvestitionen tätig wären, würden mit hohen Zinsen bestraft. Die Gehälter der Geschäftsführung wären zu beschränken. Die einzelne Filiale müsste zudem sämtliche Kundeninformationen an die Staatsbank weiterleiten. Bestehende Banken in Österreich könnten zum Teil als Filialen bestehen bleiben, zum Teil in die Staatsbank selbst übergeführt werden. Im Fall einer Zahlungsunfähigkeit der Filiale würden die Gründer und die großen Gläubiger ihre Einlage verlieren, die Staatsbank würde die Filiale jedoch weiterführen oder geordnet abwickeln. Auch für diesen Fall gälte es den entsprechenden juristischen Rahmen zu schaffen.
Das Aufgabengebiet der Staatsbank selbst würde vor allem sieben Bereiche umfassen
1. Finanzierung von Gütern mit hohem Gemeinnutzen
2. Finanzierung im Sinne ökonomischer, sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit
3. Finanzierung der öffentlichen Hand
4. Finanzierung von Schlüsseltechnologien
5. Erhalt der Geldwertstabilität
6. Festsetzung der Mindestreservesätze der Einzelbanken
7. Verwaltung der öffentlichen Gelder (Steuergeld, Reserven der Sozialversicherungsträger,…)(6)

Die Aufgaben der Staatsbank

Finanzierung von Gütern mit hohem Gemeinnutzen: Güter mit hohem Gemeinnutzen sind Güter, deren Nutzen nicht nur dem unmittelbaren Käufer und Produzenten zu Gute kommen, sondern auch positive Effekte auf die gesamte Wohlfahrt abwerfen. Die Ökonomie des öffentlichen Sektors spricht von Gütern mit positiven Externalitäten. Beispiele für solche Güter sind Forschung und Entwicklung, Schlüsseltechnologien, Bildung, Infrastruktur, Gesundheitswesen, umweltverträgliche Güter, gesundheitsschonende Produktions-technologien, landschaftspflegende ökologische Landwirtschaft…
Der reine Markt kann diese Güter nie im Ausmaß des maximalen Gemeinwohls zur Verfügung stellen, da sich der Gemeinnutzen nur unvollständig für den einzelnen Produzenten in Profit ummünzen lässt.
Den umgekehrten Fall verkörpern Güter mit hohen gesellschaftlichen Kosten. Die Ökonomie des öffentlichen Sektors spricht von externalisierten Kosten oder negativen Externalitäten. Diese Güter produzieren für die Gemeinschaft einen Schaden, der jedoch den einzelnen Produzenten oder Konsumenten nicht oder unvollständig trifft. Der reine Markt führt zu einer beständigen Überproduktion dieser Güter. Es handelt sich dabei beispielsweise um Güter, die mit Umweltverschmutzung verbunden sind, mit gesundheitsschädlichen Arbeitsbedingungen und allgemeinen negativen Folgen für die Gesundheit.
Eine zentrale Aufgabe des öffentlichen Bankensystems wäre es über den gestuften Zinssatz negative und positive Externalitäten im Sinne des Gemeinwohls für Produzenten und Konsumenten zu internalisieren. Beispiele dafür sind billige Kredite an Biobauern, innovative Start-ups oder Firmen im Bereich Umwelttechnologie. Andere Beispiele sind teure Kredite für umweltschädliche Produktion, Produktion unter gesundheitsschädlichen Arbeitsbedingungen oder reine Finanzspekulation. Eine Finanzierung in diesem Sinne wäre gleichzeitig eine Finanzierung im Sinne ökologischer, ökonomischer und sozialer Nachhaltigkeit.
Finanzierung der öffentlichen Hand: Eine Staatsbank könnte durch den Kauf von Staatsanleihen helfen, die öffentliche Hand billiger zu finanzieren und sogar zu entschulden. Sie würde der enormen Umverteilung vom Steuerzahler zu den Banken über die Staatsverschuldung entgegenwirken. Die günstigere Finanzierung der öffentlichen Hand ermöglicht eine Senkung der Lohnsteuern und der Massensteuern. Die Kaufkraft wird gestärkt. Gemäß der goldenen Finanzierungsregel könnten die günstigen Kredite an die öffentliche Hand an Zukunftsinvestitionen mit hohem Gemeinnutzen gebunden werden. Speziell zu fördern wären öffentliche Investitionen, die sehr groß sind und deren Nutzen sich erst mittel- und langfristig entfaltet. Solche Investitionen kommen einem natürlichen Monopol nahe, da kleine Investoren schlicht die finanziellen Mittel nicht aufbringen könnten. Klassische Beispiele für solche Investitionen sind das Eisenbahnwesen, eine herausragende Forschungs- und Innovationslandschaft oder eine ökologische Energieversorgung.
Finanzierung von Schlüsseltechnologien: Qualitativ hochwertige Arbeitsplätze können unter den Bedingungen des freien Warenverkehrs nur noch durch Hochtechnologie gesichert werden und mit der Strategie, in gewissen Branchen und Nischen technologisch Weltspitze zu sein. Da sich das privatkapitalistische Bankensystem vorwiegend am kurzfristigen Gewinn orientiert und tendenziell Finanzierungsströme von der Realwirtschaft weg in Finanzinvestitionen leitet, steht es im Widerspruch zu einer nachhaltigen Industriepolitik. Eine Staatsbank könnte durch gestuften Zinssatz Finanzströme genau in jene Branchen und Nischen lenken, die für die Wettbewerbsfähigkeit Österreichs zentral sind. Eine Staatsbank könnte Anreize für eine enge Kooperation zwischen Universitäten, Forschungsinstituten, Betrieben und innovativen Start-ups setzen um eine hocheffiziente Forschungslandschaft zu generieren.
Geldwertstabilität: Durch die mangelnde Bereitschaft privatkapitalistischer Banken, Kredite im notwendigen Ausmaß an die Realwirtschaft weiterzugeben, hängt das Damoklesschwert der Deflationsspirale über Europa. Preisverfall führt zur Zurückhaltung von Konsum- und Investitionsausgaben und damit zu einem Teufelskreis sinkender Wirtschaftsleistung und sinkender Konsumausgaben. Parallel führt ein privatkapitalistisches Bankensystem in Boom Phasen tendenziell zu inflationären Prozessen im Bereich von Vermögensgütern, die sich zur Spekulation eignen (Immobilien, Aktien, Nahrungsmittel und Rohstoffe). Eine zentrale Aufgabe der Staatsbank wäre es, darauf zu achten, dass die wachsende Geldmenge mit dem Wirtschaftswachstum im Einklang stünde, um auf diese Weise Geldwertstabilität zu garantieren. Der durchschnittliche Zinssatz für Kredite wäre auf diese Weise vom Konsumentenverhalten wie vom Investitionsverhalten des Staates und der Unternehmen abhängig. Der Durchschnittszinssatz unterliegt also den Gesetzen der Geldwertstabilität. Das bedeutet aber nicht, dass es nicht bei einem gegebenen Durchschnittszinssatz verschiedene Zinssätze für verschiedene Verwendungskategorien geben kann. Die Staatsbank müsste diese Zinssätze immer wieder an die Erfordernisse der Geldwertstabilität sowie der nachhaltigen volkswirtschaftlichen Entwicklung adjustieren. Eine Staatsbank kann prinzipiell durch ihren direkteren Einfluss auf die Kreditvergabe die Geldmenge besser optimieren als aktuell die EZB. Auch eine nachhaltige Entwicklung des Außenhandelsdefizits gälte es bei der Zinssetzung im Auge zu behalten.

Indirekte Lenkung statt zentraler Planung

Die Staatsbank hätte also mit Hilfe der Zinssätze auf Kredite und Einlagen der Einzelbanken im Rahmen der Geldwertstabilität auf eine makroökonomisch wünschenswerte Entwicklung der verschiedenen Verwendungskategorien des BIPs (Konsum, Staatsausgaben, Investitionen) hinzuarbeiten. Sie könnte in jedem Bereich ökologisch, ökonomisch und sozial nachhaltige Ausgaben begünstigen und im Sinne der Nachhaltigkeit und des Gemeinwohls schädlich Ausgaben, wie beispielsweise gewisse Finanzinvestitionen mit hohen Zinsen bestrafen. Die Finanzierungsströme würden vom Finanzmarkt in die nachhaltigen Sektoren der Realökonomie umgeleitet. Eine solche Form der Wirtschaftslenkung wäre im Sinne der Idee der offenen Gesellschaft. Sir Karl Popper, ein Anhänger einer aktiven Rolle des Staates in der Wirtschaft und ausdrücklicher Befürworter von Planungselementen, argumentierte für den Mechanismus der indirekten Lenkung gegenüber der zentralen Planung. Die Lenkung via Gesetze und Zinssätze wäre flexibler als eine Lenkung durch direkte Befehle. Sie ließe den einzelnen Akteuren einen größeren Spielraum, auf neue Informationen dezentral zu reagieren und eigene innovative Lösungen zu suchen.

Regulierung und Kontrolle der Staatsbank

Gewiss, auch eine Staatsbank wäre vor Problemen nicht gefeit. Hier können aber wiederum im Sinne einer offenen Gesellschaft institutionelle Lösungen gesucht werden. So verhindert die vollkommene Transparenz der Zahlungsströme gegenüber allen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern (selbstverständlich unter der Prämisse des Schutzes persönlicher Daten), dass sich Staatsbeamte und Politiker an der Staatsbank bedienen. Die Verpflichtung zur Geldmarktstabilität kann gesetzlich verankert werden. Ebenso die goldene Finanzierungsregel in Bezug auf Investitionen der öffentlichen Hand. Das Überschreiten einer gewissen Inflationsrate kann mit Sanktionen verbunden werden. Die Leitung der Staatsbank muss der Kontrolle des Nationalrats, sowie der Kontrolle der Sozialpartner unterstehen. Auch den Vertreterinnen und Vertretern der Beschäftigten im Bankgewerbe, Vertreterinnen und Vertretern der Landtage ist Mitsprache einzuräumen. Auf diese Weise ist eine gewisse Unabhängigkeit von der Regierung gewährleistet. Diese Unabhängigkeit beruht aber im Gegensatz zur Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank auf demokratischen Grundsätzen.
Wenn es um die Aufgaben der Staatsbank und der damit verbundenen Macht geht, darf nie vergessen werden, dass diese Macht auch jetzt ausgeübt wird, lediglich meist von privaten Monopolen. Eine Staatsbank hat den Vorteil, dass sie demokratischen Strukturen unterworfen und transparent geführt werden kann. Eine Staatsbank, die transparent und auf Basis demokratischer Strukturen agiert, befände sich dadurch auf dem Weg zu einer echten Vergesellschaftung (=Sozialisierung) des Bankenwesens.

Praktische Umsetzung

Der beste Zeitpunkt für eine Vergesellschaftung der Banken ist die nächste Bankenkrise. Das nächste Mal, wenn die Banken öffentliche Garantien brauchen, wäre statt weiterer Garantien eine Notverstaatlichung durchzuführen. Ein wasserdichter gesetzlicher Rahmen muss selbstverständlich in der Schublade liegen. Die Staatsbank stellt Nationalbank und EZB grundsätzlich nicht in Frage. Sie muss genauso Einlagen bei der EZB tätigen und die Mindestreserve erfüllen wie herkömmliche Banken. Nichts desto trotz werden gewisse EU Institutionen den Vorwurf einer Monopolisierung des Bankenmarktes erheben. Dem ist mit politischen und ökonomischen Argumenten zu begegnen. Schon jetzt gilt es seitens der Sozialdemokratie und der Gewerkschaftsbewegung eine großangelegte europaweite Kampagne für eine Vergesellschaftung des Bankenwesens in der gesamten EU zu starten. Ein erster Schritt in diese Richtung ist der Beschluss des britischen Gewerkschaftsbundes TUC, für eine Sozialisierung der Banken einzutreten.


Fußnoten

(1) Aktuell decken sich spanische und portugiesische Banken mit hochprofitablen Staatsanleihen ein, finanziert mit fast zinslosem EZB Geld, anstatt dieses der Realwirtschaft zur Verfügung zu stellen.
(2) Vollgeld bedeutet vereinfacht, dass Banken im vollen Ausmaß ihrer vergebenen Kredite Einlagen besitzen oder Kredite bei der Nationalbank aufnehmen müssen.
(3) Um es mit den Worten eines Bankers in dem Cartoon von Peter Vey zu umschreiben: „These new regulations will fundamentally change the way we get around them“.
(4) Unter Filiale ist hier nicht eine Geschäftsstelle zu verstehen. Es kann sich dabei durchaus um ganze Unternehmen oder Genossenschaften mit vielen Filialen handeln.
(5) Die Staatsbank könnte die Ausschüttung der Gewinne beschränken, oder gewissen Kriterien unterwerfen, mit dem Ziel Anreize zu setzen.
(6) Aktuell werden die meisten öffentlichen Gelder von privatkapitalistischen Banken verwaltet. Der Profit aus diesem Geschäft kommt selbstredend überwiegend den Banken zu Gute.


Quellen

Parlamentskorrespondenz Nr. 616 vom 25.06.2014
BROWN Ellen: Public Banks Are Essential to Capitalism, NY Times, 2.10.2013
http://www.nytimes.com/roomfordebate/2013/10/01/should-states-operate-public-banks/public-banks-are-essential-to-capitalism
MATTHEWS, Christopher: Are State-Owned Banks the Antidote to the Too-Big-To-Fail Epidemic? Time Magazine, 15.1.2013
http://business.time.com/2013/01/15/are-state-owned-banks-the-antidote-to-the-too-big-to-fail-epidemic/
HARDMEYER Eric: America's Only 'Socialist' Bank Is Thriving During Downturn, Huffington Post, 18.4.2010
http://www.huffingtonpost.com/2010/02/16/bank-of-north-dakotasocia_n_463522.html
HARDMEYER Eric: Why Public Banking Works in North Dakota, NY Times, 1.10.2013
http://www.nytimes.com/roomfordebate/2013/10/01/should-states-operate-public-banks/why-public-banking-works-in-north-dakota
SCHUMPETER Joseph A.: Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie, München 1975
STIEGLITZ Joseph E.: Economics of the public sector, London, 2000
STRAUBHAAR Thomas: Das ist das Ende des Kapitalismus, Die Welt, 10.6.2014
http://m.welt.de/wirtschaft/article128893318/Das-ist-das-Ende-des-Kapitalismus.html

Samstag, 16. November 2013

Das Parteiprogramm der SPÖ von 1978

http://static.twoday.net/spoeparteiprogramm1978/files/SPOe_Parteiprogramm_1978.pdf

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